📍 | Vier verschieden Standpunkte!

Jeder der auf diesen Beitrag gestoßen ist, dürfte sich sicherlich irgendwann mal die Frage gestellt haben: “Sind Aktien halal?” Dies war auch die Ausgangsfrage, die damals für den Start des Projekts “halal-investieren.de” gesorgt hat.

Ähnlich wie in anderen Bereichen, die den Glauben betreffen, gibt es auch hier Meinungsverschiedenheiten. Zunächst sollen verschiedene Anlegerprofile von Muslimen kurz skizziert und anschließend der hier verfolgte Weg, welcher gleichzeitig auch die “Mehrheitsmeinung” darstellt, untermauert werden.

1. Anlegerprofil: Ohne Grenzen

Genau so wie es leider Muslime gibt, die bspw. bei der Nahrung nicht auf Vorgaben achten, gibt es auch solche – und hier dürfte der Anteil sogar noch größer sein – die im Bezug auf ihre Finanzen keine Grenzen kennen. Wenn es um Geld geht, werden plötzlich Gebote vergessen. Größtenteils resultiert dies auch aus reiner Unwissenheit. Anleger mit diesem Profil kaufen somit jegliche Finanzprodukte, somit auch jede mögliche Aktie.

2. Anlegerprofil: Nur Geschäftsmodell

Eine leicht sensiblere Anlegergruppe ist diejenige, die auf das Geschäftsmodell der jeweiligen Unternehmen achtet. Branchen wie Tabak, Alkohol, Pornographie, Rüstungsindustrie usw. sind tabu.

3. Anlegerprofil: Geschäftsmodell, Finanzen, Grenzen und Reinigung

Noch genauere Vorstellungen von zu kaufenden Aktien hat das Profil 3. Hier wird über das Geschäftsmodell hinaus auch auf Finanzkennzahlen geachtet. Strikte Grenzen für “Verschuldungsgrad”, Einlagen etc. werden eingehalten. Unerlaubte Einnahmen, die nach dieser Ansicht am Aktienmarkt quasi unumgänglich sind, werden durch Spenden gereinigt.

4. Anlegerprofil: Aktien sind haram

Dieser Anleger verzichtet vollständig auf den Aktienmarkt. An der Börse seien Zinsen und Spekulation unumgänglich, somit jegliche Aktienanlagen zu vermeiden. Anlagealternativen gibt es wenige, wie z.B. die Anlage in physisches Gold.

📍 | Welcher Anleger sind wir nun und warum?

Über das Profil 1 brauchen wir kaum Worte verlieren. Auch der letzte Muslime dürfte zustimmen, dass ein Muslim bspw. nicht an der Alkoholproduktion beteiligt sein darf. Als Aktionär ist man nichts anderes als “Teilinhaber” eines Unternehmens. Alle anderen Ansichten haben dagegen ihre Berechtigung.

Im Großen und Ganzen dürfte es stimmen, dass es an der Börse kein einziges Unternehmen gibt, welches vollständig auf Zinsgeschäfte verzichtet. Das rein rational sinnvolle – Werte ausgeblendet – wäre es für ein Unternehmen auch zunächst auf günstigeres Fremdkapital mit geringeren Kapitalkosten zurückzugreifen, als auf teures Eigenkapital an der Börse. Auch werden liquide Mittel auf Bankkonten aufbewahrt, und nicht in einem Tresor. Diese dürften dann auch für Zinseinnahmen führen. Wer sich von alldem komplett raushalten möchte, sollte sich deshalb auch aus dem Aktienmarkt raushalten. (Achtung: Weiterlesen!)

Anfang der 90er Jahre fingen Gelehrte mit Finanz-Expertise erstmalig an das Thema gemeinsam in dafür vorgesehenen Komitees näher zu untersuchen. Eines der etabliertesten und in dem Bereich möglicherweise anerkannteste Institutionen ist die AAOIFI, eine Non-Profit-Organisation, die sich es u. a. zur Aufgabe gemacht hat, Finanzprodukte zu untersuchen und Richtlinien für diese zu formulieren. Das Scharia-Board der AAOIFI setzt sich aus namenhaften Gelehrten aus aller Welt zusammen (näheres zur AAOIFI im Lexikon-Eintrag). Unter Berücksichtigung der aktuellen Rahmenbedingung sowie Überlieferungen in Form von Hadithen ist man letztendlich zum Entschluss gekommen, dass eine Teilhabe von Muslimen am Aktienmarkt unter gewissen Voraussetzungen möglich ist. Diese Richtlinien für Aktien wurden auf der “Aktien -> Regeln”-Unterseite bereits zusammengefasst.

Die hauptsächliche Geschäftstätigkeit des Unternehmens muss natürlich Scharia-konform sein. Unerlaubte Einkünfte des Unternehmens, die im aktuellen Finanzsystem quasi unvermeidbar sind, werden nur in sehr geringen Mengen toleriert, stehen dem Anleger aber in keiner Weise zu und müssen abgeführt werden. Diese “Spende” ist auch nicht als “Sadaqa” zu verstehen, sondern als reine Reinigung der Einkünfte.

An dieser Stelle können wir einige Gründe einbringen, die zu diesem Urteil des Scharia-Boards geführt haben. Zunächst werden Punkte eingebracht wie “Notwendigkeit, Anerkennung, weit verbreitet Praxis, Vorherrschaft” usw. Um in eines der Punkte einzugehen (Achtung: Eigenes Beispiel): Auch im Einzelgespräch habe ich oft das Beispiel des Anwalts für die Notwendigkeit eingebracht. Um die Tätigkeit eines Anwalts ausüben zu dürfen, ist in Deutschland eine besondere Versicherung notwendig. Solche konventionellen Versicherungen sind aus der islamischen Perspektive zunächst unzulässig. Man hat nun also nun die Wahl: Es wird keine muslimischen Anwälte geben.. oder.. Mein geht “gezwungener Maßen” diesen Kompromiss ein und toleriert diesen Sachverhalt in diesem Zusammenhang. Auch wenn die Teilnahme am Aktienmarkt für einige eine rein persönliche Sache zu sein scheint, entspricht dies zugleich auch Mitspracherecht, Einfluss, Marktmacht usw. Keine Teilnahme am Aktienmarkt heißt, dass die “marktleitenden” Unternehmen, auch in muslimischen Ländern, nicht im Besitz von Muslimen sein können. Wer vertritt die Rechte und Interessen von Muslimen besser als Muslime selbst. (Eigenes Beispiel – Ende)

Zur Zeit unseres Propheten gab es bekannter Weise keine Aktien in der heutigen Form. Es werden dennoch auf Basis von Überlieferungen, Hadithen Analogieschlüsse (Qiyas) getätigt. In einer Überlieferung heißt es sinngemäß >> Wenn eine Person einen Sklaven kauft, der Reichtum hat, dann ist der Reichtum für den Verkäufer, es sei denn, der Käufer schreibt dies ebenfalls vor. << Das arabische Wort für Reichtum, welches hier verwendet wird, ist “Mal” und entspricht Cash, Gütern sowie Schulden. So wird hier die Analogie geschlossen, dass man als Käufer die Aktie zwar erwirbt, Schulden aber bspw. nicht übernimmt. Insbesondere wird auch das islamische Grundprinzip der “Unterordnung” hervorgehoben. So wäre bspw. der Verkauf von (Dattel-)Früchten, die noch nicht gereift sind, nicht zulässig. Ein weit bekannteres ähnliches Beispiel wäre der Verkauf von Fischen, die noch nicht gefangen wurden. Verkauft man dagegen aber die (Dattel-)Plantage, nimmt der Punkt “Reifung der Früchte” eine untergeordnete Rolle ein. Unabhängig davon, ob die Früchte gereift sind oder nicht, darf die Plantage veräußert werden. Dieses Beispiel wird ebenfalls mit dem Erwerb von Aktien verglichen.[Vgl. AAOIFI: SS (21) Financial Paper (Shares and Bonds) – Apendix (B): The Shari’ah Basis for the Standard, S. 577f.]

Die vollständige Ausarbeitung mit allen weiteren Nachweisen und Begründungen findest du direkt in den “Shari’ah Standards” der AAOIFI. [Vgl. AAOIFI: SS (21) Financial Paper (Shares and Bonds) – Apendix (B): The Shari’ah Basis for the Standard, S. 555ff.]

Gehen wir zum Abschluss kurz auf die Gruppe 2 ein. Diese ist eigentlich etwas bunt durchmischt. Der Großteil dieser Anleger dürften sich wahrscheinlich weniger mit Finanzen auskennen. So ist vielen gar nicht bewusst, wie eine Bilanz aufgebaut ist und ob oder inwiefern man gewisse Punkte wie das Fremdkapital eines Unternehmens prüfen kann. Vielen kommt es wahrscheinlich aus Bequemlichkeit auch gar nicht in den Sinn, dass Unternehmen in Zinsgeschäfte verwickelt sind oder sein können.

Verständlich ist dagegen, dass einige erfahrenere Anleger Kritik an den gesetzten finanziellen Grenzen ausüben. Diese versuchen zwar “den besten Teil” am Aktienmarkt einzugrenzen, sind nach dieser Ansicht aber besser an die jeweiligen Märkte anzupassen. So können zu gewissen Zeiten oder in gewissen Märkten bspw. der gesetzte “5% unerlaubte Anteil” zu hoch sein, aber auch zu niedrig sein, sodass überhaupt keine Unternehmen diese Voraussetzungen erfüllen. Außerdem beklagt man sich darüber, dass hier gewisse Werte wie Know-How, Personal etc. unberücksichtigt bleiben. Diese Ansicht findet aber derzeit keine Befürwortung unter den Gelehrten und wird durch einige wenige Privatanleger vertreten.

🏁 | Fazit

Bei solch komplexen Themen ist es wichtig Urteile von Personen oder Institutionen heranzuziehen, die auch eine Expertise in dem Bereich aufweisen können. Der Gelehrte/ Imam/ Hodscha aus der Umgebung ist hierbei meistens nicht die richtige Anlaufstelle. Aussagen, die man hier öfters zu hören bekommen, wie “Wenn das Unternehmen halal Geschäfte macht, dann darfst Du investieren. Wenn nicht, dann nicht.” sagen rein gar nichts aus.

Wie nun auch deutlich wurde, ist das Vorgehen nach Profil 3 schlüssig und repräsentiert auch die “Mehrheitsmeinung”, zumindest solcher Scharia-Gelehrten, die eine Expertise im Bereich der Finanzen und Volkswirtschaft aufweisen können. Aus diesem Grund wird bei der auf dieser Webseiten vorgestellten Alternativen und Vorgehensweisen nach den Richtlinien dieser etablierten und weit anerkannten Institutionen und Scharia-Gelehrten gegangen.

Wahrlich, Allah (swt.) weiß es am besten!